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Pustet-Missale und Biblia Pauperum

Bild: Wikimedia Commons, gemeinfreiDie Besonderheit der Messbücher von Pustet aus den Jahren 1870 bis fast 1960 sind die „typologischen Illustrationen“ für die Festtage, bei denen das meist aus dem Tagesevangelium genommene Zentralbild von Typoi, d.h.Vorgestalten aus dem alten Testament und von Verweisen auf entsprechende Schriftstellen umgeben ist. Damit wird der Festgedanke noch einmal unübersehbar in sein heilsgeschichtliches Umfeld eingebettet – „noch einmal“, weil dieses Umfeld dem Zelebranten Einbettung im Prinzip auch schon durch die Texte und Antiphonen der vorausgegangenen Stunden des Offiziums gegenwärtig sein sollte. Die Festtagsillustrationen wurden seit 1883 ausschließlich von Fr. Max Schmalz gestaltet und zumeist auch signiert, und es ist wahrscheinlich, daß auch einige der früheren von ihm stammen – schließlich war Schmalzl schon seit 1875 als gelegentlicher freier Mitarbeiter für Pustet tätig. Der „Erfinder“ des typologischen Illustrationsprinzips , das bei Pustet irgendwann zwischen 1863 und 1870 eingeführt wurde, war Schmalzl sicher nicht – diese Ehre kommt vermutlich dem bis 1874 als Hauptredakteur für Pustet tätigen Regensburger Domkapiturlar Maier oder einem von ihm beauftragten Künstler zu.

„Erfunden“ hat freilich auch von diesen keiner das typologische Illustrationsprinzip – es war schon seit dem Mittelalter in der sogenannten „Biblia Pauperum“ eingeführt und nach Erfindung des Buchdrucks in der ganzen katholischen Welt weit verbreitet. Die Übersetzung des Begriffs „Biblia Pauperum“ als „Armenbibel“ ist extrem irreführend. Auch in der Blütezeit der Armenbibeln nach dem 15. Jahrhundert waren sie für das gemeine Volk unerschwinglich, und es gibt viele Exemplare, die für den höfischen Gebrauch hergestellt und kostbar illuminiert und aufwendig ausgestattet waren. Außerdem waren es keine „Bibeln“, die Texte aus dem alten oder neuen Testament im Wortlaut brachten, sondern sie enthielten „biblische Geschichten“, die ausgewählte Ereignisse vor allem aus dem Leben Jesu, dann aber auch aus den Propheten, mehr oder weniger didaktisch aufbereitet nacherzählten. Ihr Hauptkennzeichen aber ist die Tatsache, daß sie in der Volkssprache abgefasst waren - viel passender wäre also die Bezeichnung „Laienbibeln“. 

Hier geht es weiterIm Klerus selbst hatte man zu dieser Literaturgattung ein eher zwiespältiges Verhältnis. Einerseits dünkte man sich – schließlich konnte man Latein und Griechisch – gegenüber der Zielgruppe dieser Bücher überlegen. Vielleicht kommt auch daher die etwas herabsetzende Bezeichnung als Biblia Pauperum. Andererseits schätzte man sie durchaus als Werkzeuge der Verkündigung gegenüber dem Laienvolk, und das galt besonders für den Landklerus, dessen Kenntnisse des Latein oder gar des Griechischen vielerorts auch nach Trient nicht den dort aufgestellten Maßstäben entsprachen. Das in den Laienbibeln seit Jahrhunderten angewandte Prinzip der „typologischen Illustration“ erleichterte die Predigt gegenüber Angehörigen des Adels ebenso wie gegenüber Handwerkern oder Bauersleuten.

Wegen dieser Orientierung auf die Laienseelsorge scheint es typologische Illustration in Messbüchern aus der Zeit „vor Pustet 1870“ nicht zu geben, wenigsten sind uns keine bekannt geworden. Bis weit ins 18. Jh. hinein waren Illustrationen ohnehin eher rar, und nur zu den Hochfesten gönnte man sich eine in der Regel ganzseitig ausgeführte Illustration zum Tagesgeheimnis, die oft als Umsetzung eines bekannten Gemäldes in Holzschnitt oder Kupferstich ausgeführt war. Im Spätbarock kommen dann auch ganzseitige Bilder auf, die das Hauptthema mit einem Kranz von kleineren Bildfeldern umgeben – aber diese enthalten keine „typologischen“ Inhalte, sondern ergänzende Szenen aus der Perikope des Festtages oder deren unmittelbarer Umgebung. Von daher sieht es so aus, als ob die typologische Anlage der Pustet-Illustrationen für die Messbücher eine echte Neuerung war. Und anscheinend erfolgte sie genau zum richtigen Zeitpunkt, in dem der Klerus seine früheren Vorurteile gegenüber den „Laienillustrationen“ und gegenüber der „Armenbibel“ überhaupt längst vergessen hatte und den typologischen Inhalt der Holzschnitte durchaus zu schätzen wusste.

Unsere Illustration zu diesem Artikel stammt aus einer spanischen biblia pauperum von mitte des 15. Jh. Ihr Bauschema ist so oder mit geringen Variationen auch in vielen anderen Armenbibeln der Zeit anzutreffen und hat so auch das Vorbild für die typologischen Illustrationen von Pustet geliefert. Das Zentralbild zeigt die hl. Drei Könige, die dem Jesuskind, dem neuen König der Juden, ihre Schätze darbringen. Den Spruch, der das Zentrum umgibt, konnten wir nur zum roten Teil entziffern: Sie beten Christus an und schenken Gold, Weihrauch und Myrrhe…. Das Bild links zeigt die Huldigung des übergelaufenen Generals Sauls, Abner, vor dem siegreichen König David. Abner war nach der Darstellung im Buch Samuel eine ziemlich zweifelhafte Figur und könnte hier durchaus als Anspielung auf König Herodes stehen, der den Drei Weisen vorgelogen hatte, er wohl das Königskind anbeten. Die Typologie hat auch ihre Tücken und ist nicht wirklich eine exakte Wissenschaft. Rechts dagegen eitel Freude und Sonnenschein: Die Königin von Saba bringt Salomo ihre Gaben. In den vier Ecken verkünden Propheten den kommenden Weltenherrscher; von links oben im Uhrzeigersinn: David: Die Könige von Tharsus und der vielen Inseln bringen Geschenke (Psalm 72,10). Jesajas: Alle werden kommen aus Saba mit Gold und Weihrauch und das Lob des Herrn verkünden (Jesaja 60). Michas: Menschen aus allen Völkern werden zu ihm hinströmen (Michas 4). Bileam: Es wird ein Stern aus Jakob aufgehen und er wird zerschmettern die Häupter (Numeri 24).

Alle Schriftstellen natürlich ohne Quellenangabe, und letzteres eine Zusammenziehung von zwei nicht direkt nebeneinander stehenden Versen. Auch diesem Beispiel des lockeren Umgangs mit Zitaten scheint man bei Pustet gefolgt zu sein – und vielleicht beruhen die dortigen Typologien sogar auf den Vorbildern einer konkreten Version einer Biblia Pauperum. Tatsächlich hat das Missale von 1900 zu Epiphanie ebenfalls recht des Zentrums Salomo und die Königin von Saba in genau der gleichen Positur. Was nicht bedeutet, daß Schmalzl gerade diese Armenbibel gekannt hätte, sondern daß der Fundus typologischer Bilder begrenzt war und in ganz Europa in immer wieder neuen Zusammensetzungen verwandt wurde.

Wie dem auch sei: Die Idee, die Typologien aus der längst vergessenen „Armenbibel“ zur Grundlage der Illustration für das Missale zu machen, und deren meisterliche Umsetzung durch Fr. Max Schmalzl, verschafften den Messbüchern von Pustet auf Jahrzehnte hinaus eine marktbeherrschende Stellung. Die Priester verfügten über genug theologische Bildung und Kenntnisse des alten Testaments, um den in den Typologien gebotenen Denkstoff zu würdigen und dankbar für ihre Vor- und Nachbereitung der heiligen Messfeier, für die weitverbreitete Nutzung des „Missales als Betrachtungsbuch“ (Herder 1909, 5 Bände) zu nutzen.

Aber das entstammt ja wohl alles der „lex orandi“ einer glücklicherweise längst überwundenen Zeit. Andererseits: Brauchbar erhaltene Missale insbesondere von Pustet erfreuen sich auf dem Antiquariatsmarkt (ebay, Booklooker, ZVAB usw.) zunehmender Nachfrage. Ab etwa € 300,-- ist man dabei, vor einigen Jahren lagen die Preise eher noch unter 200. Für sogenannte „Prachtausgaben“ werden auch schon mal Mondpreise von 500,-- und mehr verlangt – die Pracht liegt dann hauptsächlich im Einband. Natürlich sind auch die Anhänger der überlieferten Liturgie angehalten, die eine oder andere nach 1960 erfolgte Änderung der „lex orandi“ zu befolgen. Glücklicherweise zeigen die meisten der heute erhältlichen oft über Jahrzehnte gebrauchten Messbücher, wie man das mit etwas Papier und nicht aggressivem Klebstoff bewerkstelligt.

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