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Assumptio Mariae

Die Kirche feiert heute das Fest der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel – die populäre Bezeichnung „Mariä Himmelfahrt“ ist mißverständlich und sollte besser vermieden werden. Als Glaubenssatz, der von allen Katholiken zu bejahen ist, wurde die Aufnahme Mariens in den Himmel erst 1950 von Papst Pius XII. feierlich verkündet. Es ist die erste und bislang auch letzte formelle Verkündigung einer Glaubenswahrheit nach den strengen Anforderungen des I. Vatikanischen Konzils.

Die Annahme, daß die Gottesmutter von ihrem Sohn in die göttliche Gegenwart entrückt wurde, reicht allerdings weit in die Frühzeit der Kirche zurück. Als Kaiser Markian auf dem von ihm einberufenen Konzil zu Chalcedon im Jahr 451 den allerhöchsten Wunsch äußerte, Reliquien der Gottesmutter zu erhalten, belehrte ihn Juvenal, Bischof von Jerusalem, daß es solche nicht gebe: Ihr Grab sei wenige Tage nach der Beisetzung noch einmal geöffnet und dabei leer vorgefunden worden – so berichtet es der Kirchenlehrer Johannes von Damaskus, der allerdings erst Mitte des 7. Jahrhunderts geboren wurde. Daß diese Entrückung Leib und Seele umfasste, wurde in der Zeit des 5 oder 7. Jahrhunderts noch nicht mit höchster Autorität gelehrt. Viele Autoren setzten dies als wahrscheinlich voraus, andere räumten ein: Wir wissen es nicht.

Früheste schriftliche Quelle, die den zu dieser Zeit offenbar bereits fest verwurzelten Glauben der Kirche von Jerusalems an die Aufnahme Mariens mit Seele und Leib in den Himmel zum Ausdruck bringt, ist der „Transitus Mariä“. Verfasser ist ein gelegentlich als „Pseudo-Johannes“ bezeichneter ansonsten unbekannte Autor des 5. Jahrhunderts, auf den der „Transitus Mariä“ zurückgeht – also ein Zeitgenosse Chalcedons und anscheinend auch Partei in den christologischen Auseinandersetzungen dieser Zeit. Ein weiterer Beitrag in den kommenden Tagen soll den „Transitus“, der von der frühen Kirche stets unter die apokryphen Schriften verwiesen wurde, ausführlicher vorstellen.

Daß dieses Thema offenbar gerade zur Zeit von Chalcedon besondere Aktualität gewann, ist aus den Zeitumständen leicht erklärlich: Chalcedon gehört zu den großen christologischen Konzilen des 4. und 5. Jahrhunderts, auf denen sich die Kirche gegenüber verschiedenen (unter anderem dann auch vom Islam aufgegriffenen) Irrlehren des rechten Glaubens an Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott, versicherte. Und wenn also Christus wahrhaft Gottmensch war und seine Mutter Maria wirklich und für alle Seiten seines Wesens seine Mutter – war es dann denkbar, daß der Leib, der Jesus den Sohn Gottes getragen hatte, letztlich der Verwesung anheim gefallen wäre? Die Frage nach dem Tod Mariens und dem Verbleib ihrer irdischen Hülle war also von unmittelbarer theologischer und damit zu dieser Zeit auch politischer Bedeutung. Tatsächlich stellte sich darüber hinaus noch die Frage, ob die Gottesmutter überhaupt so wie alle anderen Menschen den Tod erlitten habe oder auf andere Weise aus dieser Welt entrückt worden sei.

Die damit verbundenen theologischen Probleme hat Johannes von Damaskus im 8. Jahrhundert ausführlich abgehandelt und dahingehend beantwortet, daß die Gottesmutter gestorben sei wie alle Menschen – dann jedoch mit Leib und Seele von ihrem Sohn zu sich genommen worden sei. Im Westen hielt man sich hinsichtlich des Sterbens Mariä eher zurück: Als unbefleckt von der Erbsünde Empfangene musste sie nicht notwendig der Strafe des Todes verfallen sein. Doch wo selbst Christus als wahrer Mensch den Tod erlitt, ist schwer vorstellbar, daß seine menschliche Mutter davon ausgenommen gewesen sein sollte. Und auch im Osten wird eher von der „Entschlafung Mariens“ als von ihrem Sterben gesprochen, ohne das klar als Gegensatz zu benennen. In dieser Frage sah sich auch Papst Pius XII 1950 nicht zu einer definitiven Antwort aufgerufen: Die Deklaration des Dogmas spricht nur davon, Maria sei, „nachdem sie ihren irdischen Lebenslauf vollendet hatte“ mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden.

Trotz gelegentlicher unterschiedlicher Akzentsetzungen im Osten und im Westen stimmen Rom und die Orthodoxie in ihrer grundsätzlichen Wertschätzung der von Johannes von Damaskus dargelegten Lehre überein. Das Breviarium Roman hat seit alters her (und bis ins Jahr 1950) für die nächtlichen Lesungen am heutigen Festtag drei Abschnitte aus der 2. Predigt des Johannes über die Aufnahme Mariens in den Himmel vorgeschrieben. Wir zitieren diese hier in der Übersetzung von Stephan, die 1927 bei Pustet erschienen ist. Der expressionistische Ton Stephans mag durchaus dem Stil des heiligen Kirchenlehrers entsprechen, der wenige Jahre nach der islamischen Eroberung von Damaskus (635) als Sohn einer vornehmen arabischen Familie – sein ‚bürgerlicher‘ Name war Yaḥyā ibn Sarjun ibn Manṣūr – geboren wurde und als einer der letzten Vertreter der dort zuvor blühenden christlichen griechisch-arabischen Mischkultur gelten kann.
Die ins Brevier aufgenommenen Abschnitte der Predigt sind nicht nur wegen ihrer theologischen Aussage, sondern auch wegen ihrer sprachlichen Form überaus bemerkenswert: Formal zitieren die beiden ersten Abschnitte das Exultet der Osternacht – das seinerseits im Ton einer frühchristlichen Präfation gehalten ist. Stilistisch steht die blumenreiche Sprache dem alten Testament und überhaupt dem Orient näher als dem Griechischen. Und inhaltlich enthalten sie alle wesentlichen Gedanken, die der Lehre von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel zu Grunde liegen.

Heute läßt sich die heilige und beseelte Bundeslade des lebendigen Gottes, die in ihrem Schoße ihren Schöpfer empfangen hat, im Tempel des Herrn nieder, der nicht von irgendwelchen Händen aufgebaut ist; und ihr Vater David jubelt und mit ihm führen die Engel Reigen auf und es feiern sie die Erzengel, es rühmen sie die Mächte, es hüpfen die Fürsten, die Kräfte gesellen sich zur Freude, es jubeln die Herrschaften, die Throne feiern ein Fest, die Cherubim loben sie, die Seraphim künden ihre Herrlichkeit. Heute nimmt der Adam des neuen Eden den beseelten Lustgarten zu sich, in dem die Verdammnis weggenommen ist, in dem der Baum des Lebens gepflanzt ist, in dem unsere Nacktheit umhüllt worden ist.

Heute ist die unbefleckte Jungfrau, die mit keinem irdischen Sinn befleckt, sondern im himmlischen Denken aufgewachsen ist, von der Rückkehr zur Erde bewahrt worden, sie wird vielmehr, weil sie ein beseelter Himmel war, in die himmlischen Zelte eingeführt. Wie sollte nämlich diejenige, von der das wahre Leben ausgegangen ist, das Totsein kosten? Sie fügt sich wohl der von dem, den sie geboren hat, getroffenen Anordnung; und als Tochter des alten Adam unterzog sie sich dem alten Urteil – denn auch ihr Sohn, der das Leben selbst ist, hat es nicht vermieden - ; als Mutter des lebendigen Gottes jedoch wird sie in würdiger Weise zu ihm aufgenommen.

Eva, die der Lockung des Schleichers zustimmte, wird zu Geburtswehen und zum Tode verurteiltund in die Räume der Totenwelt versetzt. Wie sollte aber diese in Wirklichkeit selige Frau , die ihr Ohr dem Wort Gottes entgegenhielt und auf Wirkung des Heiligen Geistes Mutter wurde und auf die übernatürliche Begrüßung des Engels hin ohne sinnliche Lust und ohne männlichen Umgang den Sohn Gottes empfing und ohne jedes Weh zur Welt brachte und sich ganz Gott weihte, der Tod verschlingen?Wie sollte die Totenwelt sie zu sich nehmen? Wie sollte die Verwesung in jenen Leib eindringen, in den derjenige einging, der das Leben ist? Ihr ist ein gerader, ein geebneter und leicht gangbarer Weg zum Himmel bereitet worden. Wenn nämlich Christus, der die Wahrheit und das Leben ist sagt: ‚Wo ich bin, da soll auch mein Diener sein‘, wie wird nicht viel mehr seine Mutter bei ihm sein?


Soweit der Auszug des Breviers aus der Predigt von Johannes Damascenus. Unmittelbar nach der Verkündung des Dogmas wurde das Brevier zum Tage revidiert, der Anteil des Johannes Damaszenus an der Lesung verkürzt und zusätzlich ein Text von Papst Pius XII. aufgenommen. Die Liturgia Horarum hat dann 20 Jahre später für ihre „Lesehore“  auf diese Predigt ganz verzichtet und bietet statt dessen zwei ausführliche Passagen aus der Apostolischen Constitution Munificentissimus Deus von Papst Pius XII. zur Verkündigung des Dogmas 1950. Ob darin auch das Bestreben sichtbar wird, sich von der Ansicht des Johannes zu distanzieren, die „Tochter des alten Adam habe sich dem alten Urteil“ unterzogen, steht dahin – jedenfalls wird dieser Satz in der Konstitution, die hier ebenfalls noch ausführlicher vorzustellen ist,  nicht zitiert. Vielleicht kommt aber auch die nüchterne Diktion des Textes von 1950 den Kompilatoren der Liturgia Horarum mehr entgegen als die blumenreiche Poesie des 8. Jahrhunderts. Andererseits wurden 1950/51 die bis dahin zum Fest gebeten allgemeinen marianischen Hymnen durch Neudichtungen ersetzt, die das Thema der „Himmelfahrt“ auf die überschwenglichste Weise ausbreiten. Auch dazu mehr in einem der folgenden Beiträge.

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