Der ökumenisierte Lateran
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- 24. Mai 2023
Vor einem Monat war hier der bemerkenswerte Vorfall zu berichten, daß die Verwaltung der Lateranbasilika, der Bischofskirche des Papstes und, wie es die Inschrift des Hauptportals ausweist, Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises, einem anglikanischen Bischof für eine Veranstaltung überlassen wurde, die nach Lage der Dinge nur als Meßsimulation zu bezeichnen ist. Die Verwaltung redete sich auf einen Kommunikationsirrtum heraus, aber keine vier Wochen später wurde die Kathedrale des Papstes erneut für die Zelebration eines Bischofs (dieses Mal war es wenigstens ein echter) geöffnet, der „nicht in Gemeinschaft mit dem Papst und der katholischen Kirche“ steht: „Papst“ Tawadros II. von Alexandrien, Patriarch des Stuhles des hl. Markus und Oberhaupt der koptisch orthodoxen Kirche.
Die beiden Fälle sind nur begrenzt zu vergleichen. Die Anglikaner haben teilweise noch nicht einmal eine gültige Priesterweihe und ihre „Bischöfe“ sind – anders als das in allen Kirchen des Westens und des Ostens selbstverständlich ist – verheiratet, im konkreten Fall des anglikanischen Gastoffizianten Jonathan Baker sogar geschieden und wiederverheiratet. In der Lehre sind sie vielfach weit von allem entfernt, was das Wesen des Christusglaubens ausmacht. Wieweit sie die Fähigkeit zur Spendung der den Geweihten anvertrauten Sakramente bewahrt haben, ist mehr als zweifelhaft.
Das kann man von den Kopten keinesfalls sagen. Ihre Traditionstreue und ihr Glaubensernst sind vorbildlich und übertreffen alles, was „Rom“ derzeit zu bieten hat. Ihre apostolische Sukzession wird nicht bezweifelt. Aber sie sind, mitsamt ihrem Patriarchen, der auch als „Papst“ bezeichnet wird, „Schismatiker“ im wahren Sinne des Wortes: Sie haben sich vor anderthalb Jahrtausenden von der Mutter und dem Haupt der Kirche des hl. Stuhles von Petrus in Rom getrennt und führen seitdem eine eigenständige Existenz, die in der Vergangenheit vielfach von heftigen Auseinandersetzungen mit den „Römern“ geprägt war. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert, die beiden Kirchen praktizieren zumindest auf der Führungsebene friedliche, ja teilweise sogar freundschaftliche, Koexistenz, aber sie sind nicht in kirchlicher Gemeinschaft – wie auch immer die konkret aussehen könnte – verbunden.
Die Kopten sind „Schismatiker“ nicht in einem polemischen, auch nicht in einem abwertenden, sondern in einem die Situation sachlich beschreibenden Sinne, denn sie stehen nicht in Gemeinschaft mit dem Stuhl Petri und bilden eine eigene Hierarchie. Kein Vergleich also mit z.B. der Piusbruderschaft, die in jeder hl. Messe des regierenden Papstes gedenkt und Bischöfe nur als „Weihbischöfe“ ohne Bistum und ohne hierarchischen Anspruch weiht, um ihrem Auftrag gerecht werden zu können.
Daß ein außerhalb der Einheit stehendes Kirchenoberhaupt wie der koptische Patriarch in der Bischofskirche des römischen Papstes zelebriert, wäre unter allen Umständen sehr bedenklich. Daß eine solche Zelebration in einer Zeit stattfindet, in der die römische Kirchenverwaltung Priestern und Gläubigen, die sich zur Einheit mit dem Papst bekennen, die Nutzung der Pfarrkirchen verweigert, wenn diese Priester und Gläubige an der über tausend Jahre alten Liturgie der römischen Kirche festhalten, ist ein überaus aufschlußreiches Skandalon.
Es offenbart, daß diese römische Kirche quasi ins Schisma mit sich selbst gefallen ist und offensichtlich „vergessen“ hat, was es bedeutet, die Einheit der Kirche Christi unter dem Nachfolger Petri auch über Unterschiede hinweg zu gewährleisten. Sie kann (oder will) nicht mehr unterscheiden, welche Differenzen wirklich kirchentrennend sind und welche bereichernde Vielfalt bedeuten. Es ist, als ob diese Kirche oder zumindest viele ihrer Prälaten im wahren Sinne des Wortes schizophren geworden wären und weder das Eigene noch das Fremde in ihrem eigentlichen Wesen erkennen könnten. Der in der Mutter aller Kirchen des Erdkreises zur Schau gestellter Ökumenismus wird dann zur leeren politischen Geste.
Vom Eigenen, auch im Unterschied zum Römisch-Katholischen, haben die alexandrinischen Kopten – die übrigens in der Frühzeit der Kirche bedeutende Lehrer wie Didymus den Blinden und Athanasius den Großen hervorgebracht haben – im Übrigen mehr als genug. Sie pflegen eine eigene Zeitrechnung, die mit unserem Jahr 284 beginnt - denn in diesem Jahr wurde sie nach ihrer Überzeugung aus dem Blut der Märtyrer der diokletianischen Verfolgung geboren. Ins Schisma ging oder geriet sie nach dem Konzil von Chalcedon (451) im Zug der Auseinandersetzungen um die Zweinaturenlehre. Als vom Westen so bezeichnete „Monophysiten“ lehnen sie die Einigunsformel von Chalzedon ab, nach der Jesus Christus zwei Naturen gehabt hat, die jedoch „unvermischt, unverwandelt und ungetrennt“ geblieben seien. Ihre Moral- und Lebenslehre hat – nicht zuletzt unter dem Einfluß der islamischen Umwelt – alttestamentarische Elemente erhalten, deren bloße Erwähnung vor den meisten Teilhmern von Versammlungen des synodalen Weges je nach Temperament Ohnmachtsanfälle oder zorniges Geschrei und den Ruf nach dem Verfassungsschutz auslösen würde
Dies alles und die Tatsache, daß die alexandrinischen Kopten nach dem Buchstaben des Gesetzes „schismatisch“ sind, kann unsere Hochachtung vor dieser Kirche allerdings in keiner Weise verringern. Schizophren im oben gebrauchten Sinne sind sie jedenfalls nicht- sie leben im Einklang mit dem, was sie immer gelebt und geglaubt haben. Sie haben ihren Glauben unter schwierigsten Bedingungen bis in die Gegenwart überliefert und verteidigen ihn auch heute noch – wie die 21 Märtyrer von Sirte bewiesen haben, wenn es sein muß, bis in den Tod.
Von daher haben wir auch keine grundsätzliche Kritik an der vom Papst anläßlich des Rom-Besuches von Patriarch Tawadros erklärten Aufnahme der 21 Blutzeugen von Sirte ins römische Martyrologium. Der Märtyrertod galt bereits zu den Zeiten, als noch niemand von einem Martyrologium Romanum sprach, als der unfehlbare Weg zur Heiligkeit. Zwar fehlt es auch in der römischen Kirche der Moderne nicht an Märtyrern – man denke nur an die Blutzeugen der Kirche in der mexikanischen Revolution und im spanischen Bürgerkrieg, im Nationalsozialismus und im Stalinismus. Freilich werden solche Zeugnisse umso rarer, je näher wir der Gegenwart und dem mitteleuropäischen Zentrum der Weltkirche kommen, und das hat seinen Grund nicht nur darin, daß die liberal-postmoderne Gesellschaft vermeintlich niemandem mehr ein Martyrium abverlangt.